Architekten sind Mörder
Dieses meterhohe Graffito in Basel, "Architekten sind Mörder", ist offenbar gegen das ganz in der Nähe gelegene Architekturbüro Herzog & de Meuron gerichtet.Hanno Rauterberg schreibt zum Thema in der Zeit:
Wie viel Moral braucht Architektur?Minky Worden von Human Rights Watch kritisierte in einem Interview die Arbeitsbedingungen beim Bau des "Vogelnests", wie das von Herzog & de Meuron entworfene Nationalstadion in Peking genannt wird, und sagte, die chinesische Regierung gebe zu, daß dabei zehn Arbeiter ums Leben kamen:
Nach den Aufständen in Tibet fordern manche Architekten, keine Symbolbauten mehr für das chinesische Regime zu planen
Noch der übelste Despot hat sein Gutes. Er hat Macht, er hat Geld, meist hat er auch den entschiedenen Willen, sich zu verewigen. Kurzum: Er ist der ideale Bauherr. Ohne ihn, überhaupt ohne die Tyrannen und Diktatoren, wäre das weltkulturelle Erbe sehr bescheiden: Es gäbe keine Pyramiden, kein Kolosseum, kein Versailles. Auch die vielen neuen kühnen Bauten in China gäbe es nicht.
So befreit, so schnell, so groß wie dort können die Architekten derzeit nirgendwo bauen. Und warum auch sollten sie dabei ein schlechtes Gewissen haben? China will sich verändern, will sich öffnen, und die Architektur wird den Wandel noch beschleunigen. Das glauben viele, oder besser: Sie glaubten es, bis in Tibet die Aufstände begannen.
Seither plädieren nicht wenige Architekten für einen Bauboykott. Selbst bekannte Büros wie die von Wolf Prix, Daniel Libeskind oder Christoph Ingenhoven lehnen jede Zusammenarbeit mit China ab. Sie wollen nicht für einen Staat arbeiten, der die Menschenrechte missachtet. Wer baut, so ihre Überzeugung, macht sich mitschuldig. Architektur und Moral lassen sich nicht trennen.
Doch gibt es auch andere Stimmen, die von Albert Speer zum Beispiel. Sein Vater war Hitlers oberster Baumeister, er selbst betreibt heute ein erfolgreiches Architektenbüro in Frankfurt und arbeitet auch für Nichtdemokratien. »Für unsere Aufgabe ist es egal, ob an der Spitze ein Diktator, ein Monarch oder eine demokratisch gewählte Regierung sitzt«, sagt er. [...]
[N]ur der Architektur traut man zu, eine überindividuelle Bedeutung zu entwickeln. Sie versorgt den Staat nicht nur mit den nötigen Räumlichkeiten, sondern auch mit Bildern und Metaphern. Sie wird zum Fundament, zur Stütze, zur Säule des Systems. Und schon deshalb muss ein Architekt stets die Systemfrage stellen – sagen die China-Boykotteure.
Allerdings fällt es auch ihnen nicht leicht, die Grenze klar zu ziehen: Wo beginnt das Unrecht? Wo genau wird der Architekt mitschuldig? Darf er im semidemokratischen Russland bauen? In den autokratischen Arabischen Emiraten? Und wie wäre es mit einem Staatsauftrag aus den USA, solange diese noch das Gefangenenlager in Guantánamo betreiben? [...]
Und noch eine Grenze lässt sich nur schwer bestimmen: Wann und wie wird der Architekt tatsächlich zum Handlanger und Verherrlicher? Muss er dem Diktator ein persönliches Denkmal setzen? Oder reicht es schon, für dessen Land eine Brücke oder eine Straße zu bauen?
Im Falle Chinas scheint die Antwort auf der Hand zu liegen. Die Regierung in Peking hat in den letzten Jahren auffällig viele renommierte Büros aus dem Westen engagiert: Rem Koolhaas und Ole Scheeren dürfen das irrwitzig verkantete Hochhaustor für das Staatsfernsehen CCTV planen; Jacques Herzog und Pierre de Meuron das neue großartige Olympiastadion. [...]
Man könnte den Architekten also tatsächlich einiges vorwerfen: dass ihr neues Stadion dem finsteren Staat zu einem heiter-spielerischen Antlitz verhilft. Oder dass sie für die Propagandamaschine CCTV, die den Aufruhr in Tibet schönlügt, ein markantes Zeichen der Offenheit bauen. [...]
Architektur ist eben nie Kunst allein, sie ist immer auch Zweck. Sie bleibt gebunden an das, was man gesellschaftliche Wirklichkeit nennt, sie kann dieser Wirklichkeit nicht entkommen. Das ist das Schreckliche an ihr und auch das Wunderbare.
Die Zeit, 27. März 2008
"It's a large work force that does not have true protections, no workers' compensation. There have been, the Chinese government admits, ten deaths alone on that signature Bird's—they call it the Bird's Nest, the Olympic stadium that you're seeing there."Es ist offensichtlich, daß die Aussage "Architekten sind Mörder" anders als "Vegetarier sind Mörder" usw. allerdings kaum allgemeingültig ist.
China's Great Leap: Human Rights Watch on the Beijing Games and Olympian Human Rights Challenges, Democracy Now, 10. April 2008
19. April 2008
Fotos: Claude Martin [as]
Fotos: Claude Martin [as]